Von Liebhabern und Malern

Martin Mosebach

Der Erfahrungen sind viele, aber sie gleichen sich. In B. zum Beispiel, wo eine Reihe von Ölbildern Schermulys auf hart weißen Putzwänden präsentiert wurden, bei übrigens günstiger milchiger Beleuchtung aus den Oberlichtern, wurde die Farbigkeit der Stilleben vielleicht allgemein noch etwas bedrohlicher empfunden als in W., wo dieselben Bilder bei diffusem gelblichem Streulicht, dennoch recht gut sichtbar, auf rot bespannten Flächen hingen und die Zeichnung anscheinend unnachgiebiger wirkte. Im Ergebnis scheiden sich jedoch die Betrachter immer wieder in ähnliche Parteien: die einen nennen grosso modo Schermulys Malerei eine Malerei für Liebhaber, die anderen erklären einfach, es handele sich bei Schermulys Malerei um eine Malerei für Maler.

Bemerkenswert, aber durchaus nicht überraschend, ist die Heftigkeit der Formulierungen jeder Partei, in denen auch dann, wenn sie sich einzig auf Schermuly zu beziehen scheinen, fast stets ein Angriff auf die jeweils andere Partei enthalten ist. Ein Loblied wird so zum Pamphlet. So ist von den sogenannten Liebhabern über den „Liegenden Akt mit Schachbrett" von 1984 unter anderem gesagt worden, seine Fleischmalerei sei in diesem Jahrhundert ohne Vorbild. Das Schimmern und der Duft der Haut seien in der Umsetzung auf die Zweidimensionalität der Leinwand verblüffend genau erhalten geblieben. Überhaupt sei die Illusion echter skulpturaler Körperlichkeit geschaffen worden. Die Schatten der Achseln, das Licht der Unebenheiten der Haut, die Kühle der Fingerkuppen und die Weichheit der Brüste seien fast mit den Händen zu erfahren. „Dies Bild ist so schwer wie ein Mensch", wurde in diesem Zusammenhang erklärt. „Dies Bild wirkt als vollkommenes malerisches Äquivalent seines Vorbildes", wird, weniger poetisch, von anderer Seite behauptet.

Ein liegemder Akt liegt auf einem Kissen vor einem SchachbrettDie Maler scheinen diese Urteile als den blanken Hohn zu empfinden. „Als ob es darum ginge, illusionäre Doubles der Realität herzustellen", lautet ein Ausruf. Schermulys Verdienst bestehe eben gerade dann, daß er keine Trompe-l'oeil-Malerei herstelle, sondern derlei Kunststückchen den Dekorateuren überlasse. Die liebhaberhafte Bewunderung des „Inkarnates" sei ein alter Hut, mit dem Schermuly nicht bedeckt werden dürfe. Interesse wecke vielmehr die Freiheit, mit der er sein Modell behandle. Natürlich halte sich ein Maler wie Schermuly nicht damit auf, das Fleisch irgendeiner jungen Person auf der Leinwand nachzuäffen. Malerei sei gerade für ihn, wie ja augenfällig sei, ein Schwimmen in der Ölfarbe; die Hinzuziehung eines Modells sei nichts weiter als ein methodisches Verfahren, um durch den Vorwand der körperlichen Gegebenheiten zu einer plastischen Weiß-inRosa-, Weiß-in-Ocker-, Weiß-in-Grau-, Weiß-in-Weiß-Malerei zu gelangen, die, wie ebenjener „Liegende Akt mit Schachbrett" ja beweise, ohne die Hilfsfigur gegenständlicher Vorstellung in dieser Vollendung sonst nicht zu leisten sei. „Dies Bild ist mehr als eine Frau und weniger als eine Frau. Es ist das Material, aus dem die Frauen gemacht werden", heißt es in aphoristischer Verkürzung in Kreisen der Maler.

Die Liebhaber erklären solche Argumente für irreal. Wieso sich denn Schermuly eigentlich mit der exakten Wiedergabe zahlreicher körperlicher Details, wie der Bildung des Halses, den Grübchen des aufgestützten Oberarms, der speziellen, der Haltung entsprechenden Formung des Bauches dermaßen beschäftige, wenn dies alles nur Vorwand für eine in Wahrheit ungegenständliche Malerei sein solle. Es sei gesucht, vor dem schockierenden Abbild einer jungen Frau zu erklären, es handele sich in Wahrheit gar nicht um das Abbild einer jungen Frau.

Die Maler lassen hierauf eine gewisse Ironie spüren. Man glaube bei den Liebhabern offensichtlich immer noch, daß es tatsächlich Interdependenzen zwischen Bild und Realität gebe. Man wolle solche süßen Träume im Grunde nicht stören, wenn nicht der „Liegende Akt mit Schachbrett" selbst eine andere Sprache spreche. Trotz der gewissenhaft aufgezählten naturalistischen Details sei eben jedem Betrachter doch wohl klar, daß es eine Frau wie die auf dem Bild in Wirklichkeit gar nicht gebe. Die Skulptur, die auf dieser Leinwand fingiert sei, habe ja unzweifelhaft ein viel höheres spezifisches Gewicht als Menschenfleisch. Der Stoff, der da malerisch erfunden worden sei, müsse in Wasser augenblicklich untergehen. Was oberflächlich erscheine, als sei es an der Wirklichkeit orientiert, sei nicht nur tatsächlich, sondern auch mit vollem künstlerischem Willen eine entschiedene Abkehr von der Wirklichkeit, jedenfalls von der Wirklichkeit eines Modells...

Der Ton der Auseinandersetzung klingt unversöhnlich, und sie ist es wohl auch. Erwähnenswert bleibt deshalb, daß beide Lager den „Liegenden Akt mit Schachbrett" nach wie vor für sich allein reklamieren und ihn als hervorragenden Beweis ihrer Überzeugung anschauen.

Martin Mosebach